Samstag, 9. Mai 2009

Von freier Höhe

Ich weiß.
Oft
wars nur ein Lachen, ein Handdruck von dir,
oder ein Härchen, ein bloßes Härchen,
das dir der Wind ins Genick geweht.
Und all mein Blut gährte gleich auf,
und all mein Herz schlug nach dir.

Dich haben, dich haben,
dich endlich mal haben -
ganz und nackt, ganz und nackt!

Und heut',
zum ersten Mal,
unten am See,
glitzernd im Mittag,
sah ich dich so:
Ganz und nackt,
ganz und nackt.

Und mein Herz stand still.

Vor Glück, vor Glück.

Und es war keine Welt mehr,
nichts, nichts, nichts,
es war nur noch Sonne,
nur noch Sonne -
so schön warst du!

Liebende

Küssen, Taumeln, Schmecken, Lieben
So völlig eins, ein Ganzes jetzt
Wie wohlig warm ist mir, von dir betrunken
Halt an die Zeit, für jetzt und immer
Nur Ewigkeit um dich und mich.

Doch lässt der Wind mich nicht in Frieden
"Geh' weiter, weiter und allein!"
So traurig, doch
Bin ich ein Ganzes
So völlig Eins
Mit mir
Allein.

Sonntag, 8. Februar 2009

R. M. Rilke - Königslied

Darfst das Leben mit Würde ertragen,
nur die Kleinlichen macht es klein;
Bettler können dir Bruder sagen,
und du kannst doch ein König sein.

Ob dir der Stirne göttliches Schweigen
auch kein rotgoldener Reif unterbrach, -
Kinder werden sich vor dir neigen,
selige Schwärmer staunen dir nach.

Tage wben aus leuchtender Sonne dir
deinen Purpur und Hermelin,
und, in den Händen Wehmut und Wonne,
liegen die Nächte vor dir auf den Knien.

Sonntag, 28. Dezember 2008

R. Gernhardt - Animalerotica (1. Strophe)

Der NASENBÄR sprach zu der Bärin:
"Ich will dich jetzt was Schönes lehren!"
Worauf er ihr ins Weiche griff
und dazu "La Paloma" pfiff.

(R. Gernhardt, Gedichte 1954-1994)

R. Gernhardt - Wunsch und Wirklichkeit

Man müßte doch, man sollte mal,
zum Beispiel durch den Sitzungssaal
ganz pudelnackt, wie Gott uns schuf,
hindurchzieh'n und dann mit dem Ruf
"Jetzt ist's uns gleich! Jetzt ist's egal!" -
Man sollte doch, man müßte mal ...

Man sollte doch, man müßte jetzt,
ist erst das Schamgefühl verletzt,
dann könnt' man doch, ich mein' es wär'
schön, wenn wer schriee: "Weiber her!
Sonst sind wir unglaublich vergrätzt!"
Man müßte mal, man sollte jetzt ...

Man müßte doch, man sollte gleich,
und, wenn sie dann so pfirsichweich,
so ganz erwartend vor uns steh'n,
dann brüll'n: "Laßt ihr euch wieder geh'n?
Tut Buße! Dirnen! Auf die Knie!"
Man müßte mal - und tut's doch nie ...

(R. Gernhardt, Gedichte 1954-1994)

R. Gernhardt - Gebet

Lieber Gott, nimm es hin,
daß ich was Besond'res bin.
Und gib ruhig einmal zu,
daß ich klüger bin als du.
Preise künftig meinen Namen,
denn sonst setzt es etwas. Amen.

(R. Gernhardt, Gedichte 1954-1994)

H. Hesse - Verwelkende Rosen

Möchten viele Seelen dies verstehen,
Möchten viele Liebende es lernen:
So am eigenen Dufte sich berauschen,
So verliebt dem Mörder Wind zu lauschen,
So in rosiges Blätterspiel verwehen,
Lächenlnd sich vom Liebesmahl entfernen,
So den Abschied als ein Fest begehen,
So gelöst dem Leiblichen entsinken
Und wie einen Kuß den Tod zu trinken!

(H. Hesse, Liebesgedichte, 1927)